„Im Labyrinth des Schweigens“, Fritz Bauer und die Auschwitzprozesse

In Vorbereitung auf meinen nächsten historischen Roman, der in Frankfurt spielen wird, lese ich mich seit einer Weile intensiv in Hintergründe und Geschichte dieser Stadt ein, in deren unmittelbarer Nähe ich wohne. Es ist eine wahre Freude, Frankfurts Geschichte nun auch im Detail zu erfahren, denn ich gebe zu, lange kannte ich detailliert eher die Meilensteine Paulskirchenversammlung, Kaiserkrönungen, Luftangriff und natürlich die Jugendzeit Goethes. Das ist für einen geschichtsbegeisterten Menschen mit Wohnsitz im Taunus beschämend wenig, aber seit längerem lerne ich gerne und viel dazu und entdecke ganz neue Facetten Frankfurts.

Die Auschwitzprozesse waren mir natürlich ein Begriff, aber ich muß gestehen, ich wußte nicht, wie schwierig es war, sie überhaupt zu beginnen und welch einen Kampf gerade Fritz Bauer ausgefochten hat. Meine Generation wuchs damit auf, daß unser Land sich seiner Geschichte und seiner Verantwortung stellt. Es ist Menschen wie Fritz Bauer zu verdanken, daß diese Auseinandersetzung mit der Vergangenheit überhaupt erst begann.

Die packende und auch oft traurige Geschichte seines Engagements und der Widerstände, auf die er traf, ist in dem Film „Im Labyrinth des Schweigens“ so mitreißend dargestellt, daß dieser Film in mir nachwirkte; ich habe sogar davon geträumt. Den Film hat mir eine andere Autorin empfohlen, nachdem wir uns über Alexander Fehling austauschten, der mich schon in dem Film „Goethe!“ so beeindruckte und den ich einfach hervorragend finde. In „Labyrinth des Schweigens“ nun, von Thematik und Charakteren so gänzlich anders als „Goethe!“ konnte ich diesen Schauspieler erneut voller Bewunderung betrachten, wie überhaupt die Darsteller hier ohne Effekthascherei, sondern mit eindrücklichem Können packend die Geschehnisse für uns zum Leben erwecken.

Daß ein deutscher Staatsanwalt nicht weiß, was in Auschwitz passiert ist, ist eine Schande.

Ganz unbesorgt beginnt der Film, zeigt uns die fröhliche Welt der 50er, des Wirtschaftswunderdeutschlands, in dem man die Schrecken des Krieges und die Auseinandersetzung mit der eigenen Schuld weit hinter sich gelassen hatte. Fehling spielt den fiktiven jungen Staatsanwalt Johannes Radmann (gewissermaßen die Verkörperung der drei tatsächlich involvierten Staatsanwälte), der 1930 geboren, noch zu jung ist, um viele der Schrecken und Verbrechen der Nazizeit aktiv erlebt zu haben. Radmann ist zufällig anwesend, als der Journalist Thomas Gnielka mit Unterlagen ins Gericht kommt, die belegen, daß ein KZ-Wärter aus Auschwitz als Grundschullehrer arbeitet, und dies juristisch verfolgen lassen möchte. Darauf folgt eine Szene fast ohne Worte, als alle anwesenden Staatsanwälte den Journalisten pikiert betrachten und sich in ihrer gemütlichen Wirtschaftswunderwelt empfindlich gestört fühlen. Man spürt, wie unangemessen sie das Ansinnen des Journalisten finden, und wenn man sieht, daß es Männer in ihren 40ern und 50ern sind, fragt man sich unwillkürlich, ob sie bei dem Gedanken, Nazitäter zur Verantwortung zu ziehen, nicht auch aus Eigeninteresse nervös werden. Daß viele belastete Juristen nach dem Krieg ihre Karriere fortsetzen konnten, ist kein Geheimnis mehr. Fritz Bauer, der als Jude und Sozialdemokrat die abscheuliche Diktatur schon früh am eigenen Leibe erfahren mußte, hatte in der Emigration überlebt und dort mit Willy Brandt zusammengearbeitet. 1949 kehrte er in das Land zurück, das ihn so grausam verfolgt hatte, wurde 1956 zum Generalstaatsanwalt. Was er empfunden haben muß, inmitten jener zu arbeiten, die den Nazis so willig gedient hatten, kann man sich kaum vorstellen, aber es gibt ein Zitat (welches auch im Film vorkommt), das viel aussagt:

Wenn ich mein (Dienst)zimmer verlasse, betrete ich feindliches Ausland.

Journalist Gnielka geht mit seinen Unterlagen von Anwalt zu Anwalt, läuft vor eine Mauer des kalten Schweigens. Als er vor Radmann steht, merkt man, daß der junge Anwalt überlegt, dem Ansinnen nicht ganz so feindlich gegenüber steht. Letztlich aber wagt auch er es nicht, vor den Augen der anderen Anwälte dem Journalisten Gehör zu schenken. Erst nachher besinnt er sich, rettet die Papiere aus dem Mülleimer und beginnt von da an eine Reise in die abscheulichsten Untiefen der dunkelsten Phase unserer Geschichte. Interessant ist es, daß Radmann mit dem Namen Auschwitz überhaupt nichts verbindet und auch andere jüngere Leute nur ratlos mit den Schultern zucken, wenn man sie nach dem Namen fragt. In heutiger Zeit gar nicht vorstellbar, und ein Zeichen dafür, wie durchgehend und erfolgreich verdrängt wurde, wie wenig junge Leute der 50er über die gerade erst vergangene Zeit wußten.

Nach und nach vertieft sich Radmann also in seine Ermittlungen, Fritz Bauer bleibt hier als ruhiger Mentor eher im Hintergrund, aber seine Präsenz ist spürbar. Die unaussprechlichen Verbrechen entblättern sich allmählich und dies wird im Film in eindringlichen leisen Szenen meisterhaft dargestellt. Der Gegensatz zwischen der Bonbonwelt der 50er und den Erinnerungen, mit denen die Auschwitzüberlebenden jede Sekunde ihres Daseins verbringen, wird gut gezeigt in einer Szene auf einer Feier des Journalisten Gnielka. Während in einem Raum junge Frauen in Petticoatkleidern ausgelassen zur belanglos-fröhlichen Musik tanzen, sitzen in einem anderen Raum Radmann und Gnielka mit dem KZ-Überlebenden Simon Kirsch, der leise, stockend berichtet, was ihm, seiner Frau und seinen Kindern – die nicht überlebt haben – widerfahren ist. Ab und an blendet das Bild zur fröhlichen Feier, dann zurück zu den drei Männern. Ich gestehe, ich habe den Ton abgeschaltet, weil der Bericht Kirschs zu entsetzlich war. Aber auch ohne Ton wirkt diese Szene. Alexander Fehling versteht es hervorragend, mit unübertriebenem Mienenspiel alles zu vermitteln, dies fällt mir während des ganzen Filmes immer wieder auf. Man sieht, wie sich das Verstehen nach und nach in das Gehirn des von Fehling so gut dargestellten Radmann einfrißt, wie das Grauen Eingang findet und wie daraus sowohl Verzweiflung und Desillusionierung, aber auch absolute Entschlossenheit wächst.  In späteren Szenen sieht man die Befragung mehrerer Zeugen. Die Szenen sind mit Musik unterlegt, man hört die Dialoge nicht. Sie gehören zu den eindringlichsten des Films. Das Entsetzen der Protokollführerin, die Mienen der beiden Anwälte, die Traumatisierung der Zeugen – all das ist geradezu plastisch greifbar und von allen Schauspielern bewundernswert dargestellt. Man kann sich annähernd vorstellen, wie diese Zeugenbefragungen auf alle Beteiligten gewirkt haben müssen. Annähernd, weil man eine solche Situation ohne eigenes Erfahren nie wirklich nachempfinden kann.

Ich will, daß diese Lügen und dieses Schweigen endlich aufhören.

Während Radmann immer mehr gepackt wird, sich kaum noch auf etwas anderes konzentrieren kann, ihn diese Ermittlung, die wachsende Erkenntnis, wie viele Schuldige völlig unbehelligt leben, in Besitz nimmt, wächst das Widerwillen gegen die Ermittlungen in der Staatsanwaltschaft. Als störend und beleidigend wird es empfunden (von Juristen!), daß diese Geschehnisse ermittelt, aufgerührt, aus dem so sorgfältig zugeschaufelten Bewußtsein ausgegraben werden. Die typischen Ausreden werden angeführt: man habe doch nur Befehle befolgt, man hätte keine Wahl gehabt, es wäre immerhin Krieg gewesen. Irgendwann wird Radmann von seinem Vorgesetzten angebrüllt, kulminierend in der Frage, ob Radmann etwa wolle, daß sich jeder junge Mensch in diesem Land frage, ob sein Vater ein Mörder sei? „Ja, das will ich!“ brüllt Radmann zurück und ahnt noch nicht, wie bald er selbst sich diese Frage stellen wird müssen. Wenn man derart konzentriert von den grausamsten Geschehnissen der deutschen Geschichte hört, kann es nicht ausbleiben, daß man die Menschheit überhaupt irgendwann in Frage stellt und Männer jener Generation nicht mehr ansehen kann, ohne sich zu fragen, was diese in der Nazizeit getan, welche Schuld sie auf sich geladen haben. Auch dies wird im Film sehr nachvollziehbar vermittelt.

Bis in welche Höhen die Protektion der Naziverbrecher geht, zeigt sich im Film gut am Beispiel Mengeles, der regelmäßig völlig unbehelligt nach Deutschland reiste. Während Radmann anfänglich noch an die Integrität des BKAs glaubt und sicher ist, die Übermittlung des Aufenthaltortes Mengeles würde zu einem Zugriff führen, wird er schnell brutal auf den Boden der Tatsachen gestoßen. Bis in die höchsten Behörden ist niemand daran interessiert, Naziverbrecher zu verfolgen. Mengele wird nicht verhaftet, für den (dank des Engagements Fritz Bauers) in Israel vor Gericht gestellten Eichmann wird aus Deutschland kein Auslieferungsantrag gestellt. Daß dies so hoch ging, so beschämend gehandhabt wurde, das habe ich in dem Ausmaße bisher nicht gewußt. Ich saß teilweise kopfschüttelnd vor dem Fernseher. Auch die Arroganz der Täter und ihrer Anwälte, die völlige Abwesenheit von Reue verursachten mir fast Übelkeit. In einer Szene konfrontiert Radmann verschiedene Täter mit ihren abscheulichen Verbrechen, und während ich mich – wie so oft – fragte, wie Menschen zu solchen Tiefen sinken konnten, sieht man die Beschuldigten unbeeindruckt da sitzen, die Anwälte fast höhnisch grinsen. Auch hier kann man sich kaum vorstellen, wie die damals an der Vorbereitung des Prozesses beteiligten Staatsanwälte und Fritz Bauer diese Zeit empfunden haben. Ihr unbeirrtes Weiterarbeiten gegen diese Widerstände kann gar nicht genug gewürdigt werden.

Die Prozesse selbst werden in Film „Im Labyrinth des Schweigens“ nicht mehr gezeigt. Man sieht Radmann und seinen Kollegen den Gerichtssaal betreten, über den Ausgang erfährt man etwas in knappen Texteinblendungen. Die drei Auschwitzprozesse fanden insgesamt von 1963 – 1968 statt. Die Urteile für tausendfachen Mord waren oft beschämend niedrig. Die Zeugenberichte wurden von der Verteidigung massiv angezweifelt, die Angeklagten zeigten auch während der Prozesse keine Reue. Die Belastung, die Qualen der Zeugen müssen unermesslich gewesen sein. Die Bevölkerung stand den Prozessen größtenteils ablehnend gegenüber.

Fritz Bauer starb 1968, Thomas Gielka 1965. Beide konnten also leider nicht erleben, welche langfristigen Folgen ihre Arbeit hatte. Es gab weitere Prozesse, bis in die heutige Zeit hinein. Daß Mord nicht verjährt (1979 festgelegt), resultiert ebenfalls aus der durch die ersten Prozesse angestoßenen Entwicklung. Die Nazitäter, die sich leider in so vielen Fällen jahrzehntelang oder ganz der Verantwortung entziehen konnten, sollen nicht durch Verjährung ihren Strafen entgehen können. Das Fritz Bauer Institut widmet sich weiterhin der Forschung über die Naziverbrechen und stellt auch Dokumente und Tonmitschnitte der Auschwitzprozesse auf einer Webseite zur Verfügung. Es ist untergebracht im Frankfurt I.G.-Farben-Haus, einem architektonischen beeindruckenden Gebäude aus den späten 1920er Jahren, welches heute von der Goethe-Universität Frankfurt genutzt wird. Die I.G. Farben hatt in Auschwitz ein eigenes Lager, um sich durch die Ausbeutung von Zwangsarbeitern zu bereichern, und lieferte der Diktatur das in den Gaskammern verwendete Zyklon B. Die leitenden Angestellten wurden im I.G. Farben-Prozeß 1947/48 von einem amerikanischen Militärgericht teils zur Verantwortung gezogen und waren oft schon in den 50ern wieder als Aufsichtsratsmiglieder tätig.

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