Das koloniale Philadelphia

Die Hochphase von Philadelphias Zeit als Geburtsort der Nation, erster Hauptstadt und dann künstlerischem Zentrum des Landes war bereits zu Beginn der Allender-Trilogie vorbei. Dennoch bleibt das koloniale Philadelphia ein wichtiger Teil von Ferne Wolken, dem ersten Buch der Trilogie. Der in Philadelphia gelegene Wohnsitz der Familie ist ein Kolonialhaus in der Pine Street, im Stadteil Society Hill. Hier finden sich noch heute die typischen Reihenhäuser aus roten Ziegelsteinen, mit farbigen Türen und Fensterläden, die herrliche Gemütlichkeit verströmen. Wenn eine der Hauptfiguren des Buches, Malcolm, eine Besucherführung durch das alte Philadelphia und das State House (die heutige Independence Hall) zu einer kleinen Tradition macht, erinnert er an die Tage der Gründerväter und der wichtigsten Zeit Philadelphias. Ich muss zugeben, dass seine Faszination für das koloniale Philadelphia direkt von mir selbst stammt, und als ich noch im guten alten Philly lebte, nahm ich viele Besucher zur Independence Hall mit und genoss es immer, durch Society Hill zu schlendern. Ich sah ein schöneres, gepflegteres Kolonialviertel als Malcolm und seine Gäste – das historische Viertel begann bereits in den 1830er Jahren, seinen Glanz zu verlieren und kam wurde im Laufe der Jahrzehnte immer mehr herunter. Weiterlesen „Das koloniale Philadelphia“

Weihnachten bei den Schönaus, 1913

Ein Auszug aus „Bürgerin aller Zeiten„:

Luise und Wilhelm waren fast mit dem Schmücken des Weihnachtsbaums fertig. Wilhelm verteilte die letzten Lamettafäden, während Luise vorsichtig die Lauschaer Glaskugeln aufhängte. Dann sahen sie sich zufrieden an und Wilhelm küsste Luises Wange. Er war froh, dass sie wieder etwas besser aussah und nicht mehr so blass war. Sie trug ein grünes Samtkleid, welches hervorragend mit ihren blonden Haaren harmonierte.
Sie warf einen Blick auf den Baum. „Die Kinder werden begeistert sein. Es war gut, dass wir dieses Jahr einen größeren Baum geholt haben, und diese neuen Kugeln sind wunderschön.“
„Bäume leuchtend, Bäume blendend, überall das Süße spendend. In dem Glanze sich bewegend, alt und junges Herz erregend – solch ein Fest ist uns bescheret“, zitierte Wilhelm zufrieden.
„Wie praktisch, dass der gute Goethe zu jeder Lebenslage etwas zu sagen wusste“, neckte Luise ihn. „Ich läute jetzt.“
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Schreiberfahrungen – Gastartikel der Autoren Guido Brose und Dirk Schmidt

Ich weiß gar nicht mehr, wie ich bei Instagram auf das Profil mit dem klingenden Namen johannfaust.de aufmerksam wurde. Mit dem sinistren Faust selbst kommunizieren, das hat schon was. Nun sind die beiden Herren hinter dem Profil aber überhaupt nicht sinister, sondern richtig nette Autorenkollegen, die ein ungemein interessantes Projekt durchführen: sie schreiben einen neuen Faust – mit dem Titel: infaust. Mein erster Gedanke: „Wow, mutig!“ Die Geschichte des Johann Georg Faust ist schon mehrere Male erzählt worden, am bekanntesten ist natürlich die Version des einzig wahren Goethe. Da stellt sich die Frage, ob man diesen Stoff überhaupt neu erzählen kann und ob man nicht fürchtet, an den Vorgängerversionen gemessen zu werden.

Auf dem Instagram-Profil werden regelmäßig Textausschnitte aus diesem neuen Faust geboten und dies in einer Sprache, die ich ganz herrlich finde. Ich lese die Sätze immer mehrfach, kehre auch mal zu ihnen zurück und werde das fertige Werk ganz sicher erwerben – und das als absoluter Goethe-Groupie, das heißt schon was! Bilder und weitere informative Postings zeigen, wie sehr sich die beiden Autoren mit ihrer Materie beschäftigen und der nachfolgende Artikel zeigt auch, wie lange sie es schon tun. Es ist Guido und Dirk auf diese Weise sogar gelungen, einen Verleger auf sich aufmerksam zu machen – ein Traum für Autoren und nach allem, was ich bisher von ihrem Werk kenne, absolut verdient. Nun aber möchte ich Dirk in seinen eigenen Worten von Werk und Wirkung berichten lassen! Weiterlesen „Schreiberfahrungen – Gastartikel der Autoren Guido Brose und Dirk Schmidt“

Speziallager Nr. 2 – Buchenwald, 1945 – 1950

(Bild mit Creative Commons Erlaubnis zur Verwendung hier entnommen)

Eine auf der eigenen Familiengeschichte beruhenden historischen Roman zu schreiben, macht die Recherche über eine ohnehin so dunkle Epoche manchmal noch schwerer, denn hier spielt eine persönliche Komponente mit hinein. Das habe ich unter anderem bei der Recherche zum Speziallager Buchenwald sehr gemerkt. Ich war noch ein Kind, als meine Großtante erwähnte, daß ihr Ehemann nach dem Krieg dort interniert gewesen wäre und das „nach dem Krieg“ hat mich verwirrt, denn ich wußte nicht, daß sich die Geschichte mancher Lager auch in die Nachkriegszeit hinein erstreckte. Als junge Erwachsene fand ich in Buchenwald dazu auch keine Hinweise – die Dauerausstellung zum Speziallager wurde erst 1997 eröffnet. Während der DDR-Zeit wurde diese dunkle Zeit der Weiternutzung des Lagers völlig totgeschwiegen.

Als ich später mit meiner Großtante ein wenig mehr über das Thema sprach, war ich überrascht, wie wichtig es ihr war, mir zu erklären, dass ihr Mann in der Nazizeit nicht involviert war – kein Parteimitglied, Anhänger des Regimes, sondern ein ganz seinem Thema verhafteter Geisteswissenschaftler, der „keiner Fliege was zuleide tun konnte“. Was, nach allem was ich sonst hörte, auch stimmte, ich konnte nur nicht verstehen, warum meiner Großtante diese Klarstellung so wichtig war, denn ich hatte ohnehin keine Annahme in der Richtung getroffen oder ausgesprochen. Auch das verstand ich erst, als ich mich mit der Geschichte des Speziallagers und dem späteren Umgang damit zu DDR-Zeiten näher befaßte. Die Internierungen wurden unter dem Vorwand der Bestrafung von Naziverbrechern durchgeführt und jenen, die ihre Internierung überlebten und nachher in der DDR blieben, haftete das Stigma weiterhin an.

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Zu Goethes Geburtstag ins Goethehaus Frankfurt

Am 28sten August 1749, Mittags mit dem Glockenschlage zwölf, kam ich in Frankfurt am Main auf die Welt.

Das Goethehaus, an dem der gute Goethe heute vor genau 270 Jahren zur Welt kam, ist mein Lieblingsort in Frankfurt und natürlich schleppe ich jeden sich nicht wehrenden Besucher dorthin. So idyllisch die Adresse Großer Hirschgraben auch klingt, heute macht die Gegend nicht viel her, das originalgetreu wieder aufgebaute Goethehaus liegt in einer Straße voller Nachkriegsscheußlichkeiten. Im Haus aber kann man die moderne Außenwelt aber wirklich für einige Zeit vergessen.

Die Herkunft des Straßennamens erklärt uns Goethe in Dichtung und Wahrheit selbst:

Wir hatten die Straße, in welcher unser Haus lag, den Hirschgraben nennen hören; da wir aber weder Graben noch Hirsche sahen, so wollten wir diesen Ausdruck erklärt wissen. Man erzählte sodann, unser Haus stehe auf einem Raum, der sonst außerhalb der Stadt gelegen, und da, wo jetzt die Straße sich befinde, sei ehmals ein Graben gewesen, in welchem eine Anzahl Hirsche unterhalten worden. Man habe diese Tiere hier bewahrt und genährt, weil nach einem alten Herkommen der Senat alle Jahre einen Hirsch öffentlich verspeiset, den man denn für einen solchen Festtag hier im Graben immer zur Hand gehabt, wenn auch auswärts Fürsten und Ritter der Stadt ihre Jagdbefugnis verkümmerten und störten, oder wohl gar Feinde die Stadt eingeschlossen oder belagert hielten. Dies gefiel uns sehr, und wir wünschten, eine solche zahme Wildbahn wäre auch noch bei unsern Zeiten zu sehen gewesen.

Ja, Hirsche in Frankfurt, das kann man sich mittlerweile gar nicht mehr vorstellen. Auch die rückwärtige Nachbarschaft stellt sich heute anders dar als zu Goethes Zeiten, der damals einen gerade idyllischen Ausblick hatte: Weiterlesen „Zu Goethes Geburtstag ins Goethehaus Frankfurt“

Schreiberfahrungen – Gastartikel des Autors Rainer Schneider

In einem früheren Blogartikel habe ich schon einige Hintergründe zu der hervorragenden Lebenswege-Serie Rainer Schneiders gegeben. Ich habe seitdem alle Bücher der Serie gelesen (und hoffe, daß Band 7 dann auch bald erscheint, Rainer Schneider arbeitet schon engagiert daran). Jeder Band hat seine ganz eigene Stimme, behandelt einen anderen Aspekt des unangepaßten Lebens in der DDR. Ich habe aus diesen Büchern unglaublich viel gelernt, habe den ausgezeichneten Schreibstil genossen und das Wissen, daß die Geschichten auf wahren Schicksalen beruhen (weitere Informationen gibt es auf Rainer Schneiders Website), hat den Bücher eine besondere Intensität gegeben. Meine und viele andere Rezension zu den Büchern können ua bei Lovelybooks gelesen werden.

In einem Gespräch mit Rainer Schneider erfuhr ich, daß er an den Büchern jahrelang arbeitet, da er sie nach dem Schreiben der Reihe nach gründlich überarbeitet hat. So lag es nah, ihn um einen Einblick in diesen Aspekt des Autorenlebens zu bitten. Auch zur Lebenswege-Serie gibt es in seinem Artikel Interessantes zu lesen.  Weiterlesen „Schreiberfahrungen – Gastartikel des Autors Rainer Schneider“

Die Nürnberger Gesetze von 1935 und die Dienstmädchen

16. September 1935 in Berlin, Auszug aus „Des Lebens labyrinthisch irrer Lauf“:
Dorchen nahm die Zeitung vom Tisch und hielt Richard eine Seite hin. Mit zitterndem Finger tippte sie auf den Text.
„Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes,“ las Richard vor. Er überflog den Text. „Eheschließungen und Beziehungen zwischen Juden und Ariern verboten. Das haben sie sich jetzt in Nürnberg einfallen lassen? Das ist ein weiterer Auswuchs ihres Irrsinns und sehr unschön, aber kein Grund zu weinen.“
Dorchen sah ihn stumm an, während die Tränen ihre Wangen hinunterliefen.
Plötzlich verstand Richard. „Oh.“
„Es ist schlimm genug, wenn man alles verheimlichen muss, weil man Angst vor den Reaktionen haben muss, aber nun macht man sich strafbar! Nur weil man jemanden liebt! Er würde mit Zuchthaus bestraft! Zum Schutz des deutschen Blutes, als ob die Juden verseucht wären! Wie kann denn so etwas Gesetz sein?“

Die am Vortag jenes Dialoges erlassenen „Nürnberger Gesetze“ sind wahrscheinlich jedem, der sich ein wenig mit der Nazidiktatur beschäftigt hat, ein Begriff. Dieses absurde Gesetz eines gesetzlosen Staates wurde durch Schaubilder illustriert, die genau zeigten, wann man „Deutschblütiger“, „Mischling 2. Grades“, „Mischling 1. Grades“ oder „Jude“ war. In einem zweiten Gesetz wurde den Juden zugleich noch die Bürgerschaft entzogen, Juden waren keine Reichsbürger mehr. Dies bedeutete unter anderem eine Entziehung des aktiven und passiven Wahlrechtes. Weiterlesen „Die Nürnberger Gesetze von 1935 und die Dienstmädchen“

Buchempfehlung: Deutschland – Erinnerungen einer Nation

Momentan lese ich mich durch die dreibändige deutsche Geschichte 1800 – 1918 von Thomas Nipperdey. Das Werk ist ausgesprochen informativ, erklärt viele Zusammenhänge und wird noch einen eigenen Blogeintrag erhalten. Bei über 2.000 Seiten kann man sich vorstellen, daß man die Bücher nicht mal eben so weglesen kann.

Wer sich die deutsche Geschichte etwas leichter und flotter erlesen möchte, sollte zu „Deutschland  – Erinnerungen einer Nation“ („Germany – Memories of a Nation“) greifen.

Dieses Buch zu lesen war ein wahres Vergnügen! Anhang von Objekten aus der deutschen Vergangenheit macht man eine Reise in verschiedene historische Epochen Deutschlands und erliest sich so auf sehr unterhaltsame Art die deutsche Geschichte. Das Buch geht nicht chronologisch vor, jedes Kapitel behandelt in sich abgeschlossen einen Aspekt oder eine Person der Geschichte und berichtet von dort ausgehend über den jeweiligen historischen und gesellschaftlichen Kontext. Weiterlesen „Buchempfehlung: Deutschland – Erinnerungen einer Nation“

Der 9. November in der Geschichte

Nun sind auch die beiden neuen Lovelybooks-Leserunden zu den Büchern der Schönau-Dilogie zu Ende, die Diskussion hat wieder Spaß gemacht (und nun werden schon die Darsteller für die Verfilmung in der Runde überlegt – das nenne ich Hingabe! 😉 ).

Eines der Themen war natürlich auch, daß der 9. November nicht nur als geschichtliche Komponente eine Rolle spielte, sondern auch der Geburtstag der Hauptperson Lotte war, was die zahlreichen Ereignisse an diesem Tag verknüpfte und für die 1989 spielende Rahmenhandlung eine große Rolle spielte. Die Häufung von geschichtlichen Ereignissen an dem Tag ist vielleicht nicht jedem auf Anhieb bewußt, oder bekannt, deshalb hier ein Überblick über fünf geschichtlich bedeutende Ereignisse am 9. November. Weiterlesen „Der 9. November in der Geschichte“

Psychische Krankheit in den USA des 19. Jahrhunderts

In heutiger Zeit an einer psychischen Krankheit zu leiden, ist schrecklich genug. Vor ungefähr einhundertfünfzig Jahren musste es entsetzlich gewesen sein – es gab keine wirksame Behandlung, kein Verständnis für die Krankheit, viele falsche Annahmen.

Mitte des 19. Jahrhunderts befand sich die Psychiatrie noch in den Kinderschuhen und war mit dem heutigen Beruf nicht vergleichbar. Ärzte versuchten, psychische Krankheiten zu verstehen, wussten aber einfach nicht genug darüber. Es wurde angenommen, dass sie erblich seien, auch durch emotionale Ausnahmesituationen oder die Umgebung verursacht wurden, aber ebenso durch Unmoral oder Übermut – im Grunde alles, was nicht innerhalb der strengen moralischen Normen der Zeit lag. Einige Ärzte erkannten auch die Verbindung zwischen Gehirn und psychischer Krankheit und nannten sie eine „Gehirnkrankheit“, obwohl sie nicht wussten, was sie verursachte. Weiterlesen „Psychische Krankheit in den USA des 19. Jahrhunderts“