Das historische Frankfurt, Teil 1

Als ich anfing, Frankfurt für die Wallenfels-Trilogie zu recherchieren, habe ich mich schon darauf gefreut, die mir eigentlich gut bekannte Stadt nun ganz neu kennenzulernen. Ich hatte es bereits bei der Recherche für die Schönau-Dilogie erlebt – das mir liebgewordene Leipzig erstand in ganz neuer Weise vor mir auf, seitdem kann ich durch keine Straße dort mehr gehen, ohne nicht das alte Leipzig vor meinen Augen auferstehen zu sehen. An vielen Orten ist dieses alte Leipzig ohnehin noch sichtbar. Dies gestaltet sich bei Frankfurt schon schwieriger – hier findet man nur punktuell Orte, die an die alte Stadt erinnern.

Sowohl Leipzig wie auch Frankfurt sind im Zweiten Weltkrieg stark bombardiert und zerstört worden (zu Leipzig war mir der ausgezeichnete und beklemmende Bildband „Leipzig brennt“ bei der Recherche des in „Des Lebens labyrinthisch irrer Lauf“ ausführlich geschilderten verheerendsten Angriffs vom 4. Dezember 1943 eine große Hilfe und ist empfehlenswert).
Das älteste Fachwerkhaus Frankfurts, das sehenswerte Haus Wertheim beim Römerplatz, überstand als einziges Fachwerkhaus den Luftangriff am 22. März 1944 nur deshalb, weil die Feuerwehr die Gasse vom Römerberg zum Main als Fluchtweg mit einem Wasserschleier versah. Die Bewohner der Altstadt konnten durch ihre Gewölbekeller, die 1940 durch Durchgänge miteinander verbunden worden waren, bis zum Notausgang auf dem Römerplatz und durch die Gasse weiter zum Main flüchten. Dieser Wasserschleier rettete somit das Haus Wertheim davor, wie der Großteil der Stadt im Flammeninferno verschlungen zu werden. Im Historischen Museum sah ich einmal ein Modell, welches die Stadt vor und nach dem Angriff zeigt. Ich weiß noch, wie beklommen ich damals davorstand. Ein Ausschnitt findet sich hier.

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Buchempfehlung: Machtzerfall

Der gebürtige Friedberger Herfried Münkler hat sich 1983 daran gemacht, Zeitzeugenberichte über die letzten Kriegstage in Friedberg zu sammeln. Ergänzt durch offizielle Dokumente entstand somit ein detaillierter Blick darauf, wie jene Wochen im März bis Mai 1945 erlebt wurden. Auch wenn dieser Bericht auf Friedberg bezogen ist, so steht er doch exemplarisch für ähnliche Erfahrungen, die zu der Zeit auch in vielen anderen Städten gemacht wurden und veranschaulicht gut den im Titel erwähnten „Machtzerfall“. Ich fand es schön, die mir recht bekannte Stadt Friedberg beim Lesen veranschaulichen zu können und werde beim nächsten Besuch dort viele Orte mit neuem Interesse anschauen. Weiterlesen „Buchempfehlung: Machtzerfall“

Die Schönaus und Leipzig III: Bombenangriff 1943

Am frühen Morgen des 4. Dezember 1943 erlebte Leipzig den bisher dahin verheerendsten Bombenangriff. Das hervorragende Buch Leipzig brennt enthält viele Augenzeugenberichte und Fotografien.

Auch Lotte und ihre Familie erleben diesen Angriff. Sie hat den Nachmittag bei ihren Eltern verbracht, in friedlicher Atmosphäre und mit – soweit unter den Umständen möglich – ein wenig vorweihnachtlicher Stimmung. Auf dem Heimweg muß sie eine monumentale Gewissensentscheidung treffen, bevor der Bombenangriff sie, das Hausmädchen Frieda und Lottes Kinder Agnes und Friedrich vor ganz neue Herausforderungen stellt.

Lotte wälzte sich noch lange schlaflos im Bett, überlegte, ob sie anders hätte handeln sollen und fragte sich, wo Dorchen sein mochte. Als sie endlich einschlief, träumte sie in wirren Fetzen von Dorchen, der Gestapo und wie als Kontrast vom friedlichen Nachmittag im Hause ihrer Eltern. Das nur allzu bekannte Sirenengeheul riss sie aus dem Schlaf.
„Zwischen drei und vier Uhr, wie immer,“ murmelte Lotte schlaftrunken. Wären die Kinder nicht gewesen, wäre sie einfach liegengeblieben; sie nahm an, dass die Bomber auf dem Rückweg von Berlin waren. Dann hörte sie einen Knall und für eine Sekunde schien das ganze Haus zu beben. Lotte sprang aus dem Bett, aus dem Kinderzimmer drang das Weinen von Friedrich. Sie traf gleichzeitig mit Frieda im Kinderzimmer ein, wo sie die Kinder an die Hand nahmen. Im Flur zog Lotte sich und den Kindern hastig die Mäntel über, während ein schrilles Pfeifen von draußen zu vernehmen war.
„Koffer!“ rief Frieda. Sie griff mit einer Hand einen der Koffer, mit der anderen nach Friedrich, der sich eine kleine Tasche genommen hatte. Die Abläufe waren nach jahrelangen Luftalarmen automatisch, trotz der Angst. Weiterlesen „Die Schönaus und Leipzig III: Bombenangriff 1943“

Kriegsehen in Feldpostbriefen

Kürzlich bekam ich von einer Leserin ein Lob für die Feldpostbriefe in „Des Lebens labyrinthisch irrer Lauf“. Es gibt im Buch keine Szenen, die direkt an der Front spielen und so wird das Kriegsgeschehen hauptsächlich durch die Briefe von der Front dargestellt. Meine Leserin schrieb, man würde merken, wie gut die Briefe recherchiert wären, wie authentisch sie wirken würden, und „Das bewegt einen schon sehr, grad wenn man weiß, dass das zumindest so ähnlich auch durchaus der Realität entsprach.“ Das hat mich natürlich sehr gefreut, ebenso wie ihre Aussage, dass gerade das Geschehen in den Kriegsjahren oft so intensiv wirke, dass sie ab und an eine Lesepause bräuchte, um das Gelesene zu verarbeiten. Mir ging es bei der Recherche der Themen oft ähnlich und es bedeutet mir viel, wenn ich erfahre, dass ich diese Intensität in meinen Büchern vermitteln kann.

Es gab auch einige Fragen zu den in den Briefen angesprochenen Themen, zur Situation von durch den Krieg getrennten Ehepartnern. Es hat Spaß gemacht, mich durch diese Fragen dem Thema noch einmal zu widmen. Weiterlesen „Kriegsehen in Feldpostbriefen“

„Im Labyrinth des Schweigens“, Fritz Bauer und die Auschwitzprozesse

In Vorbereitung auf meinen nächsten historischen Roman, der in Frankfurt spielen wird, lese ich mich seit einer Weile intensiv in Hintergründe und Geschichte dieser Stadt ein, in deren unmittelbarer Nähe ich wohne. Es ist eine wahre Freude, Frankfurts Geschichte nun auch im Detail zu erfahren, denn ich gebe zu, lange kannte ich detailliert eher die Meilensteine Paulskirchenversammlung, Kaiserkrönungen, Luftangriff und natürlich die Jugendzeit Goethes. Das ist für einen geschichtsbegeisterten Menschen mit Wohnsitz im Taunus beschämend wenig, aber seit längerem lerne ich gerne und viel dazu und entdecke ganz neue Facetten Frankfurts.

Die Auschwitzprozesse waren mir natürlich ein Begriff, aber ich muß gestehen, ich wußte nicht, wie schwierig es war, sie überhaupt zu beginnen und welch einen Kampf gerade Fritz Bauer ausgefochten hat. Meine Generation wuchs damit auf, daß unser Land sich seiner Geschichte und seiner Verantwortung stellt. Es ist Menschen wie Fritz Bauer zu verdanken, daß diese Auseinandersetzung mit der Vergangenheit überhaupt erst begann. Weiterlesen „„Im Labyrinth des Schweigens“, Fritz Bauer und die Auschwitzprozesse“

Buchempfehlung: Zeit zu leben und Zeit zu sterben

Remarque entwickelt sich immer mehr zu meinem Lieblingsschriftsteller. Auf unnachahmliche Weise berichtet er in seinen Romanen über das Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sein Stil ist schnörkellos, ohne Pathos und dadurch besonders eindringlich. „Zeit zu leben und Zeit zu sterben“ befasst sich mit der dunkelsten Zeit der deutschen Geschichte. 1944 ist der Krieg so gut wie verloren, was die fanatische menschenverachtende Diktatur nicht davon abhält, weiterhin Millionen zu opfern. Weiterlesen „Buchempfehlung: Zeit zu leben und Zeit zu sterben“

Soldatenbriefe

Beim Schreiben versuche ich stets, mich soweit wie möglich in die Gedankenwelt meiner Haupt- und Nebencharaktere einzufinden. Um plausibel beschreiben zu können, wie sie agieren, muß und will ich verstehen, warum sie so agieren, wie sie die Welt um sich sehen, was sie denken und fühlen. Das ist schwierig, wenn es um historische Epochen geht, die aus heutiger Sicht so oft und ausführlich betrachtet und analysiert wurden, daß ich beim Schreiben sehr darauf achten muß, nicht die heutige Sicht in das Geschriebene einfließen zu lassen. Fast unmöglich wird es bei Motivationen, die meinen eigenen diametral entgegenstehen. Junge Menschen, die damals auf die Nazidiktatur hereinfielen, deren Motivation aber nicht einfach durch die tumbe Primitivität vieler (auch gerade heutiger) Rechtsradikaler erklärt werden kann. Wie erklärt man das? Das war ein Thema, zu dem ich viel gelesen habe, Selbstzeugnisse, Tagebücher; versucht habe, das heutige Wissen kurz auszublenden. Meine Leser teilen mir mit, daß es mir gut gelungen sei, die verschiedenen Motivationen der den Nazis zugelaufenen Charakteren meiner Bücher zu erklären. Das freut mich, denn leicht war es nicht. Weiterlesen „Soldatenbriefe“

Buchempfehlung: „Eben noch unter Kronleuchtern – die Revolution 1918/1919 aus Sicht der bayerischen Königstöchter“

Über die Revolution von 1918 gibt es verhältnismäßig wenige Bücher und schon alleine deshalb ist „Eben noch unter Kronleuchtern“ eine gute Idee. Christiane Böhm wählt in diesem Buch den interessanten Weg, dem Leser das Revolutionsgeschehen durch Zeitzeugenberichte nahezubringen, und zwar von jenen, die unmittelbar betroffen waren. Es hat mich sehr neugierig gemacht, zu lesen, wie die bayerische Königsfamilie die Revolution, die völlige Umkehrung ihres Lebens, empfunden hat. Weiterlesen „Buchempfehlung: „Eben noch unter Kronleuchtern – die Revolution 1918/1919 aus Sicht der bayerischen Königstöchter““

Buchempfehlung: „Zerrissene Leben“

Ich bin immer froh, wenn Bücher über Geschichte die Perspektive der ganz normalen Menschen widerspiegeln und zeigen, wie deren Leben durch die Weltgeschichte beeinflußt wurde. Sehr gut gelungen ist dies in „Zerrissene Leben„, welches ich gerade beendet habe.

In „Zerrissene Leben“ begleiten wir zahlreiche Zeitzeugen durch das so unruhige 20. Jahrhundert. Es sind dies die in den 20er Jahren Geborenen, im Buch „Weimarer Kinder“ genannt. Auf gelungene Weise werden hier historische Fakten und Hintergrundinformationen mit den Stimmen der Zeitzeugen verbunden. Zahlreiche Zitate aus persönlichen Erinnerungen zeigen eindrucksvoll und auch unterhaltsam, wie die Menschen jener Zeit die Weltgeschichte erfuhren und wie sie ihr Leben beeinflußte. Der Titel „Zerrissene Leben“ ist hier sehr gut gewählt. Weiterlesen „Buchempfehlung: „Zerrissene Leben““

Buchempfehlung: Ein Akt der Vergebung

In Düsseldorf-Oberkassel befindet sich der angenehme, recht unauffällige Werner-Pfingst-Platz. Ich habe bei meinem Besuch in Oberkassel den Namen des Platzes nicht bemerkt und hätte auch gar nicht gewußt, welch interessante Geschichte dahinter steckt. Zum Glück hat mir eine liebe Bekannte die Geschichte erzählt und mir dann das bemerkenswerte Buch „Ein Akt der Vergebung“ geliehen. Werner Pfingst ist ein ehemaliger Einwohner Oberkassels, dem es zum Glück gelang, der Nazidiktatur rechtzeitig in die USA zu entfliehen. Leider war dieses Glück nicht all seinen Familienangehörigen vergönnt und so berichtet dieses Buch über viele deutsch-jüdische Schicksale, einige davon sehr tragisch, einige mit glücklichem Ende. Es ist ein gutes Beispiel dafür, wie die menschenverachtende Diktatur in eine deutsche Familie eingriff, sie auf ihr Jüdischsein reduzierte und sie dafür brutal verfolgte. Besonders beeindruckend ist es, daß dieses so sorgfältig recherchierte Buch die Arbeit dreier Gymnasialschülerinnen (der ehemaligen Schule Werner Pfingsts), eines Lehrers und eines Polizeibeamten ist. Unglaublich, was diese ungewöhnliche Kooperation an interessanten Fakten entdeckt und so gelungen in Buchform gebracht hat. Weiterlesen „Buchempfehlung: Ein Akt der Vergebung“