Kriegsehen in Feldpostbriefen

Für meine Schönau-Dilogie las ich zahlreiche Feldpostbriefe, um eine Gefühl für die Menschen und auch ihre Briefe zu bekommen. Sie erwiesen sich nicht nur als informativ, sondern teilweise auch als berührend.

GESCHICHTLICHESDEUTSCHLANDSCHÖNAU

Kürzlich bekam ich von einer Leserin ein Lob für die Feldpostbriefe in „Des Lebens labyrinthisch irrer Lauf“. Es gibt im Buch keine Szenen, die direkt an der Front spielen und so wird das Kriegsgeschehen hauptsächlich durch die Briefe von der Front dargestellt. Meine Leserin schrieb, man würde merken, wie gut die Briefe recherchiert wären, wie authentisch sie wirken würden, und „Das bewegt einen schon sehr, grad wenn man weiß, dass das zumindest so ähnlich auch durchaus der Realität entsprach.“ Das hat mich natürlich sehr gefreut, ebenso wie ihre Aussage, dass gerade das Geschehen in den Kriegsjahren oft so intensiv wirke, dass sie ab und an eine Lesepause bräuchte, um das Gelesene zu verarbeiten. Mir ging es bei der Recherche der Themen oft ähnlich und es bedeutet mir viel, wenn ich erfahre, dass ich diese Intensität in meinen Büchern vermitteln kann.

Es gab auch einige Fragen zu den in den Briefen angesprochenen Themen, zur Situation von durch den Krieg getrennten Ehepartnern. Es hat Spaß gemacht, mich durch diese Fragen dem Thema noch einmal zu widmen.

Ich schrieb bereits in einem früheren Artikel, wie fasziniert ich von den echten Feldpostbriefen war, die ich zu Recherche und dann auch aus purem Interesse gelesen habe. Es hat mich sehr berührt, durch die Briefe einen so privaten Einblick in die Gedanken, Sorgen und Gefühle von Menschen zu bekommen, die so einen intensiven und schmerzhaften Abschnitt unserer Geschichte erlebt haben. Ihnen blieb über Jahre hinweg verwehrt, was für uns heute ganz normal ist – und was normal sein sollte – den Alltag mit Ehepartner, Kindern oder anderen geliebten Menschen zu verbringen.

„Mein kleines liebes Evchen! Wie oft denke ich an Dich oder den Jungen. Abends im Bett kommen mir manchmal die Tränen, so verlassen komme ich mir vor."

Zitate aus den Briefen von der Seite museumsstiftung.de

Im schlimmsten Fall war diese durch den Krieg erzwungene Trennung eine für immer, besonders grausam muss es gewesen sein, wenn man nicht einmal wusste, was dem Ehemann, Vater, Sohn oder Bruder zugestoßen war. Diese Angst kommt in den Briefen an die Front immer wieder zum Ausdruck, in späteren Kriegsjahren fürchten auch die Soldaten um die Unversehrtheit ihrer Familien zu Hause. In einem Brief wird beklagt, seit sieben Wochen ohne Nachricht zu sein. Die Worte selbst lesen sich im Brief recht nüchtern, aber man kann sich vorstellen, welche Sorge, welches Leid dahinter steckte. In den letzten Kriegsmonaten wird auch teilweise ausgetauscht, wo man sich nach Kriegsende suchen kann, wenn der Kontakt abbricht. „Solltest Du allerdings von hier keine Nachricht mehr erhalten, so forsche immer zuerst in Gronau nach. Dahin will ich mich nun endgültig wenden, schon weil es jenseits der Elbe liegt. Es kommt mir vor einem Sowjeteinfall dann doch noch sicherer vor als Perleberg,“ schreibt zum Beispiel eine Frau im März 1945 an ihren Ehemann und lässt zum Ende des Briefes die Unsicherheit und Angst leicht durchscheinen: „Ich mache mir gar keine Illusionen, habe aber immer noch so stille Hoffnungen.“.

Auch ohne die Sorge um das Wohlergehen der Familie ist die Sehnsucht nach Briefen groß. In vielen Briefen von der Front ist das PS „Schreib so oft Du kannst!“, die Freude über jeden erhaltenen Brief wird enthusiastisch ausgedrückt, es wird betont, wie viel Trost jede Nachricht von zu Hause bringt. Jedes kleine Detail des Tagesablaufs wird berichtet oder erfragt. Man spürt den Hunger der Soldaten nach Informationen von zu Hause, nichts ist zu banal. So enthalten die Briefe der Ehefrauen oft minutiöse Schilderungen eines normalen Tages. Auch die Soldaten schreiben recht detailliert. Mir ist aufgefallen, wie viele Briefe mit einer Situationsbeschreibung anfangen, in der Art von „Es ist jetzt 8 Uhr abends, ich habe gerade mein Abendessen verzehrt und sitze nun direkt neben dem Ofen, während…“ Der geliebte Ehepartner ist nicht anwesend, aber durch diese genauen Beschreibungen kann mit Worten ein Bild gemalt werden, beide können sich in Gedanken nahe sein. Diese Nähe herzustellen, ist gerade den so weit weg weilenden Soldaten ausgesprochen wichtig, oft ein wertvoller Halt, eine kleine Flucht.

Die Teilnahme der abwesenden Ehemänner und Väter am Familienleben ist beiden Seiten wichtig, auch das merkt man in den Briefen. Da schickt eine Ehefrau ihrem Mann ihre Haushaltsbücher an die Front, um seine Meinung dazu einzuholen, er geht auf jeden einzelnen Posten ein, oft mit humorvollen und liebevollen Bemerkungen. Es werden Erziehungsratschläge eingeholt und gegeben, Familienkonflikte oder Anschaffungen schriftlich besprochen. All das, was Ehepaare heute nebenbei beim Abendessen besprechen können, muss sich hier auf die Briefe verlagern, die oft wochenlang unterwegs sind. Gerade bei Unstimmigkeiten ist das qualvoll. Da erfährt ein Soldat erst Wochen später, dass eine flapsige Bemerkung verletzend wirkte, erklärt sich, kann dies nur schriftlich tun, muss wieder Wochen warten, um zu erfahren, ob die Unstimmigkeit damit bereinigt werden konnte. Auch bei Krankheiten von Ehepartnern oder Kindern spürt man, wie qualvoll es war, lange auf Nachricht warten zu müssen, sich Sorgen zu machen. Sehr deutlich wird dies, wenn ein Paar ein Kind erwartet. In einem Brief merkte ich in jeder Zeile, dass der werdende Vater vor Ungeduld und auch Sorge fast vergeht, wie traurig er ist, in dieser Zeit seiner Frau nicht zur Seite stehen zu können, von der Geburt des Kindes mit erheblicher Zeitverzögerung zu erfahren, das Kind nicht sehen zu können – in manchen Fällen werden die Väter ihr Kind nie kennenlernen.

„Wenn ich die Augen zumache, malen meine Wunschträume, solange ich noch nicht schlafe, alles Schöne noch einmal vor als einen stummen Film. Ich sehe es aber nicht plastisch oder deutlich. Nur einmal ein Lächeln von Dir, das Bärbelchen, wie’s sich nach einem Blümchen bückt und den Hans Dieter wie er ein Mäulchen zu einem fröhlichen Lachen verzieht. Man kann es nicht beschreiben. Es sind Sekundenbrucheile, in denen man weg ist aus diesem Land des Grauens.“

„Also, mein Kind, tu mir den Gefallen und sei nicht so verschlossen! Es trägt sich alles leichter so. Wenn es auch nicht schön ist, daß Frauen mit jeder Kleinigkeit ihrem Mann in den Ohren liegen, so ist das Gegenteil doch auch von Übel; denn dazu ist man ja schließlich verheiratet, daß man alles gemeinsam trägt. Im übrigen ist eine unangenehme Nachricht leichter zu ertragen als eine ahnungsvolle Ungewißheit.“

Ab und an geht aus den Briefen auch hervor, dass sich die Ehepartner einiges verschweigen oder Unangenehmes abschwächen, um dem jeweils anderen keine Sorgen zu bereiten. Da ist ein Ehemann ganz erschrocken, weil er erst nach überstandener Krankheit von der Ehefrau erfährt, dass sie krank war, und er schreibt sehr eindringlich, dass sie ihm zukünftig alles sofort berichten muss. Es stellt sich die Frage, was schwieriger gewesen sein muss: etwas Unangenehmes und die hilflose Frustration zu erfahren, dass man hunderte Kilometer entfernt ist und dem geliebten Menschen nicht beistehen kann – oder zu fürchten, dass der Ehepartner sich zusätzlich dadurch belastet, viele Dinge zu verschweigen. Es muss beides furchtbar gewesen sein.

Die Soldaten scheinen ihre Frontberichte ebenfalls oft abgeschwächt zu haben. In den Briefen, die ich las, sind kaum drastische Schilderungen enthalten, meistens sind es sogar relativ harmlose Berichte, die die Langeweile hervorheben. Das kann auch daran liegen, dass die Briefe oft in Ruhephasen geschrieben wurden, aber ich kann mir gut vorstellen, dass vieles nicht geschrieben wurde, um der Familie zu Hause Sorge zu ersparen. Ein weiterer Grund wird gewesen sein, dass das Grauen oft nicht in Worte zu fassen war. Es gab aber auch ehrliche Briefe, wo auch die unangenehmen Seiten ebenso wie die Lebensgefahr offen beschrieben wurden. Die entsetzlichen Kriegsverbrechen kommen selten explizit in den Briefen vor, manchmal werden sie beiläufig erwähnt, verbunden mit dem Kommentar, dass es natürlich unerfreulich wäre, aber dass der Krieg nun mal gewonnen werden müsse. In einigen Briefen ist aber auch erschreckend spürbar, auf welch fruchtbaren Boden die Nazi-Ideologie schon gefallen ist und mit welcher Mitleidlosigkeit viele Grausamkeiten betrachtet werden, wenn sie gegen Menschen verübt werden, die die Nazis als minderwertig darstellten.

„Dieser Tage, wo ich nun viel Zeit habe, höre ich mich öfter mal um, was andere nach Hause schreiben. Da ist kaum einer, der sein wirkliches Erleben beschreibt.“

„Ach, mein Herzel, wenn Du jetzt hier wärst, uns sitzen sähest, wie wir alle sehnsüchtig den Radioklängen lauschen und alle schreiben, Helm., Paul, Fritz. Wenn ich Dich jetzt hier hätte, ich glaube ich würde heute ganz ohne Angst, Hemmungen und Überlegungen handeln und Dich nur immer nur ganz heiß lieben, lieben und küssen. Aber weit, 2000 km weit bist Du weg, hörst aber die gleichen Klänge aus dem Lautsprecher und weißt, dass ich so heiß und innig an Dich denke, wie es ein Mensch überhaupt vermag.“

Viel häufiger las ich aber die verzweifelte Sehnsucht nach Frieden, gerade zu besonderen Tagen (Weihnachten, Hochzeitstag, Geburtstag) wird die Hoffnung beschrieben, den nächsten Festtag im Frieden und gemeinsam zu verbringen. An solchen Tagen finden viele Soldaten Trost – wenn auch sicher nur schwachen Trost – darin, sich genau vorzustellen, wie die Familie zu Hause diesen Tag wohl verbringt, oder darin, sich an frühere Zeiten zu erinnern. Das gemeinsame Familienleben, welches in Friedenszeiten so normal ist, wird in diesen Erinnerungen geradezu idyllisch ausgeschmückt. Zukunftspläne ziehen sich durch die Briefe, manche vage, manche ganz konkret. Die Sehnsucht nach Fronturlaub ist ein anderes wiederkehrendes Thema, gerade vor Festtagen. Mehrere Male äußern Soldaten sich etwas gereizt über das Unverständnis ihrer Ehefrauen, wenn eine Urlaubssperre erlassen, oder ein Urlaubsantrag nicht genehmigt wurde. Es scheint durch, dass die Situation an der Front für viele Familienmitglieder daheim nicht nachvollziehbar – und oft nicht erklärbar – war und das führt immer wieder zu leichten Spannungen in der Korrespondenz. Die Soldaten durchleben etwas, was sie ihren Angehörigen nicht vermitteln können und manchmal auch nicht wollen.

Bei solch langen Trennungen und Unsicherheit über die Lebensumstände des Ehepartners ist es nicht verwunderlich, dass auch die Sorge um eheliche Treue immer wieder in den Briefen erwähnt wird – ebenfalls auf beiden Seiten. Die Ehefrauen hören reichlich Geschichten über Soldaten, die sich in Wehrmachtsbordellen vergnügen oder mit Frauen vor Ort anbandeln. Nach der Eroberung Frankreichs war das „gute“ Leben an der Westfront allenthalben Thema, auch Karikaturen oder Postkarten gab es dazu. Es gab kaum Kampfhandlungen, die Soldaten hatten viel Freizeit, reichlich Geld und blieben lange genug an einem Ort, um Kontakte zu knüpfen. An der Ostfront gab es Frauen, die als Alternative zum Hungertod nur die Möglichkeit hatten, sich mit Wehrmachtssoldaten einzulassen. All dies ist den Ehefrauen bekannt und sie fragen ihre Männer in ihren Briefen danach. Von gewaltsamen Übergriffen ist nie die Rede – ob nun aus Unwissenheit oder Scheu, das Thema anzusprechen. Natürlich beteuern die Ehemänner in ihren Briefen ihre Treue, immer verbunden mit der Versicherung, dass es schon stimme, dass sich viele Soldaten mit Frauen einlassen und es teils hoch hergeht, man selbst aber natürlich nicht im Traum daran dächte. Wie ein Charakter in „Des Lebens labyrinthisch irrer Lauf“ so richtig sagt: „Kein Mann wäre so blöd, seiner Frau etwas anderes zu schreiben.“

Aus einem Brief von Ernst Guicking an seine Frau Irene – ein Paar, dessen Briefe mich besonders berührt haben – liest man aber auch durchaus echte Empörung heraus über ihre Vermutung, er könnte ihr in Frankreich fremdgehen. Man kann hier gut sehen, wie die Unsicherheit über eheliche Treue, die Gerüchte und Vermutungen auch die liebevollste Beziehung belasten konnten.

Auch die Soldaten selbst hörten immer wieder Geschichten über untreue Ehefrauen. In den Briefen, die ich las, versichern sie der Ehefrau stets, dass sie selbst natürlich über jeden Verdacht erhaben und man sich ihrer Treue bewusst sei. Es wird in manchen Fällen sicher eine indirekte Art gewesen sein, sich eine Treueversicherung zu erbitten.

Überrascht war ich, wie offen in den Briefen intime Themen angesprochen werden – immerhin wurden viele Briefe von der Zensur gelesen. Unsere Großeltern oder Urgroßeltern haben hier teilweise sehr direkt kommuniziert, viele auch eher in Andeutungen. Auch der Liebeserklärungen gibt es viele, dies beginnt schon mit den oft rührenden Anreden wie z.B. „Mein liebstes Schmuserchen“. An Hochzeitstagen blicken viele Ehemänner auf ihre Ehe zurück, mit Worten voller Liebe, aber auch sonst gibt es wunderschön formulierte Worte und Sätze der Zuneigung, die uns auch nach fast achtzig Jahren noch direkt berühren und so klar zeigen, dass hinter der Weltgeschichte Menschen stehen, mit all ihren Gefühlen, Sorgen und Hoffnungen, die nur leider zu oft durch den grausamen Krieg zunichte gemacht wurden.

„Auf jeden Fall habe ich Dich so rasend lieb und solche grosse Sehnsucht nach meinem Frauchen. Es ist ja schon wieder ¼ Jahr her, dass ich bei Dir gewesen bin. Höchste Zeit, mal wieder nach Hause zu kommen, sonst schaffst Du Dir doch noch einen Hausfreund an, und ich sehe in den Mond. Du, wenn das tatsächlich vorkäme. Aber ich weiss ja, das tust Du niemals. Na wer, weiss, es sind schon viele ehrbare Frauen gestolpert, wenn der Mann zulange fortgeblieben ist. Es hört ja auch allerhand Energie dazu, auszuhalten. Aber ich kann es doch auch nicht ändern, ich wäre auch lieber beim guten Frauchen, als hier allein zu schlafen.“

„Ich bin bei allem bei Dir, immer und immer. Und wenn ich will, dann zaubere ich mir Dein liebes Gesicht hierher und schaue ihm in die Augen, tief bis auf den Herzensgrund und das spürst Du bis dort.“

Das Video, das man auf der Website der Gedenkstätte Buchenwald zur Schließung des Lagers findet, zeigt Original-Wochenschaumaterial jener Zeit und man hört ziemlich am Anfang den zynischen Satz: „Die Entlassenen werden zeigen müssen, ob sie diesen Vertrauensbeweis zu würdigen verstehen.“

Ich habe mehrere Zeitzeugenberichte gelesen, in denen Menschen, die nach ihrer Entlassung (oder Rückkehr aus Workuta oder den Gefängnissen) in der DDR geblieben waren, Mißtrauen und Nachteilen ausgesetzt waren und sie allein aufgrund ihrer Internierung als Naziverbrecher angesehen wurden. Auch in meinem Buch redet sich eine an sich intelligente Journalistin, die in der Nazizeit stets hinter die Ideologie blicken konnte, die DDR und ihren Umgang mit ihnen unbequemen Menschen schön:Ich habe hier ausschließlich Briefe von der Seite der Museumsstiftung zitiert. Dort ist, wie ich in meinem Artikel über Soldatenbriefe schon schrieb, die umfangreichste und am besten sortierte Sammlung zu finden. Es gibt aber natürlich auch weitere informative Seiten und Bücher mit Feldpostbriefen, eine Internetsuche bringt zahlreiche Fundstellen. Ich kann nur empfehlen, sich einige davon durchzulesen, denn man lernt durch sie eine sehr persönliche Seite der Kriegsjahre kennen. Besonders beklemmend sind die Abschiedsbriefe aus Stalingrad, zu denen man unter anderem an folgenden Stellen Auszüge und Informationen findet: