Der 9. November in der deutschen Geschichte

Es ist seltsam, wie viele historische Ereignisse Deutschlands am 9. November stattfanden - hier ist ein Blick auf einige von ihnen.

GESCHICHTLICHESDEUTSCHLANDSCHÖNAUWALLENFELS

Bei einer Leserunde, die ich zu meiner Schönau-Dilogie durchführte, war eines der Themen natürlich, daß der 9. November nicht nur als geschichtliche Komponente eine Rolle spielte, sondern auch der Geburtstag der Hauptperson Lotte war, was die zahlreichen Ereignisse an diesem Tag verknüpfte und für die 1989 spielende Rahmenhandlung eine große Rolle spielte. Die Häufung von geschichtlichen Ereignissen an dem Tag ist vielleicht nicht jedem auf Anhieb bewußt, oder bekannt, deshalb hier ein Überblick über fünf geschichtlich bedeutende Ereignisse am 9. November. Dieser 9. November ist ein schwieriger Tag. Einerseits ein Tag der Freude, da die DDR am 9. November ihre Grenze öffnete, und das ist meiner Meinung nach eines der besten Dinge, die in diesem Land passierten. Andererseits war es auch einer der dunkelsten Tage in Deutschland, als das abscheuliche Pogrom 1938 stattfand. Und dies sind nicht die einzigen historischen Ereignisse, die an einem 9. November stattfanden. Reisen wir zurück in der Zeit …

9. November 1848 – Revolution!

Wir sind im Jahr 1848. In den USA beginnt der Goldrausch, Karl Marx schreibt sein Kommunistisches Manifest, Frauen zwangen ihre Haare in Korkenzieherlocken, die Häuser wurden mit Öllampen beleuchtet, die Leute reisten öfter per Zug, Dickens‘ „Dombey und Sohn“ wurde veröffentlicht, und Deutschland bestand aus 39 Staaten – einige Monarchien, einige Herzogtümer oder unabhängige Städte, einige von ausländischen Königen beherrscht. Das ganze Konstrukt wurde Deutscher Bund genannt und war eine lose Föderation, die 1815 kreiert worden war, nachdem man Napoleon, der Europa auf den Kopf gestellt hatte, endlich erfolgreich losgeworden war.

Eigentlich hätte also jeder glücklich sein können – Napoleon aus dem Weg, die Kunst blühte auf, die Städte wuchsen und es gab bildschöne Möbel (der Biedermeierstil war der letzte Schrei). So einfach war es aber nicht - und wer meine Wallenfels-Trilogie gelesen hat, weiß, wie lange dies brodelte und worin es mündete. Die Mächtigen waren nicht gerade verrückt nach Änderungen und Innovationen, im Gegenteil. Jetzt, da der französische Unruhestifter weg war, wollten sie zurück zur Tradition. Wenn etwas funktioniert, braucht man es ja wohl nicht zu reparieren. Allerdings funktionierte es eben nicht. Die Staaten des Deutschen Bundes waren nicht unbedingt beste Freunde und deshalb nicht erfolgreich darin, gemeinsame Entscheidungen zu treffen und das Leben ihrer Bevölkerung zu verbessern. Politische Zensur, Hungersnöte, niedrige Löhne und Unterdrückung kamen beim Volk nicht besonders gut an. Allerdings sind die Deutschen nicht unbedingt „gehen wir raus und machen eine Revolution!“-Menschen. Es gab einige Versuche, hauptsächlich von Jüngeren, aber die Mehrzahl zog sich ins Privatleben zurück.

Dann begannen die Franzosen wieder mal eine neue Revolution und man kann sich vorstellen, wie dies die deutschen Herrscher ärgerte, denn diesmal beschlossen die Deutschen, das auch einmal auszuprobieren (zu dem Thema empfehle ich natürlich mit Freude meinen zweiten Band der Wallenfels-Trilogie). Sie gingen auf die Straßen, hauptsächlich in Wien (Österreich war Teil des Deutschen Bundes) und Berlin. Berlin erlebte gewalttätige Kämpfe zwischen Revolutionären und der königlichen Armee, und endlich wurde ein Schritt in Richtung Demokratie gemacht – eine Nationalversammlung gewählter Repräsentanten aller Staaten des Deutschen Bundes traf sich am 18. Mai 1848 in der Frankfurter Paulskirche, um eine Verfassung zu entwerfen. Einer der führenden Sprecher dort war Robert Blum. Im Oktober 1848 reiste er nach Wien, um die dortigen Revolutionäre zu unterstützen. Er schrieb seiner Frau, daß die Menschen die Revolution „gemütlich, aber gründlich“ angingen. Kein unorganisiertes Herumrennen und Leute-Köpfen in deutschen Revolutionen.

Allerdings wurde es für Blum weniger gemütlich, denn er wurde festgenommen – trotz seiner diplomatischen Immunität -, als gefährlicher Anarchist bezeichnet, zum Tode verurteilt und am 9. November 1848 erschossen. Seine letzten Worte waren: „Ich sterbe für die Freiheit.“ Er wurde ein berühmtes Revolutionsopfer, so ausgiebig bewundert, daß sich ein regelrechter Kult um ihn entwickelte. Viele betrachten seinen Tod als den Wendepunkt der Revolution, die letztlich niedergeschlagen wurde.

9. November 1918 – Republik

1918 war Europa im Würgegriff des Krieges. Kaiser Wilhelm II hatte sich nicht mit Ruhm bekleckert und die Macht war längst an die Oberste Heeresleitung übergegangen. Das Deutsche Reich verlor ganz offensichtlich den Krieg und im Land verhungerte die Bevölkerung. Wilhelm II wurde nicht mal mehr als relevant genug betrachtet, um ihn vollständig über die Kriegsentwicklungen zu informieren, und so träumte er weiter vom Sieg. Er war nicht gerade Favorit des Monats (oder des Jahres) in Deutschland. Dies verstärkte sich noch, als der amerikanische Präsident Wilson deutlich machte, daß die Abdankung Wilhelms II die Voraussetzung für Diskussionen um einen Waffenstillstand sei. Wilhelm selbst hielt verständlicherweise nicht viel davon. Die Deutschen hielten nicht mehr so viel von ihm.

November 1918 begann mit Streiks und Aufständen, die sich bald über das ganze Land ausbreiteten, um sich schließlich zu einer richtigen Revolution zu entwickeln. Die Menschen verlangten die Abdankung des Kaisers und letztlich nahm man ihm die Entscheidung ab. Am 9. November wurde die Republik nicht nur einmal, sondern gleich zweimal verkündet (wir Deutschen sind eben gründlich): Philipp Scheidemann von der SPD erfuhr, daß Karl Liebknecht von den Spartakisten plante, eine sozialistische Republik zu verkünden und so eilte Scheidemann auf den Balkon des Reichstages und verkündete die Deutsche Republik. Er war dazu eigentlich nicht autorisiert, was ihm ein wenig Ärger mit Friedrich Ebert einbrachte, denn immerhin sind wir in Deutschland und eine Revolution ist kein Grund, Ordnung und Prozess zu ignorieren. Aber er hatte Deutschland davor bewahrt, eine sozialistische Republik zu werden, was zeigt, daß ein wenig Spontaneität manchmal hilfreich sein kann.

Hinrichtung Blums, Carl Constantin Heinrich Steffeck, 1848/49 – Wikipedia, gemeinfrei

Republikausrufung –
Wikipedia, public domain

9. November 1923 – Putsch

Am 11. August 1919 wurde Deutschlands neue Verfassung verkündet. Da sie in der kleinen Stadt Weimar ausgearbeitet worden war, hieß die neue Republik „Weimarer Republik“. Die Verfassung war von den besten Intentionen motiviert, aber in den folgenden Jahren erwies sie sich als unsichere Basis für eine stabile Regierung. Die Weimarer Republik litt bald unter zahllosen Aufständen, Attentaten und ständigen Regierungswechseln. 1922 verlor die deutsche Währung ihren Wert und 1923 war das Land in den Fängen einer massiven Hyperinflation, welche zur Einführung einer neuer Währung, der Rentenmark, führte. Die Deutschen hatten Geldscheine mit astronomischen Beträgen, die nun wertlos waren. Rechtsradikale Gruppen, die keine Republik unter sozialdemokratischer Regierung wollten, organisierten mehrere Staatsstreiche, die bekanntesten davon der Kapp-Putsch 1920 und der Hitler-Putsch (auch Bierkellerputsch genannt) 1923.
Die deutsche Regierung hatte gerade beschlossen, die im Versailler Vertrag verlangten Reparationen bezahlen, hatte eingesehen, dass Kooperation der einzige Weg war, Deutschland aus seiner internationalen Isolation zu befreien. Für rechtsradikale Gruppierungen war dies inakzeptable „Erfüllungspolitik“ und so wurde beschlossen, die Regierung durch einen Putsch zu beseitigen.

Warum wird es auch Bierkellerputsch (oder Bürgerbräuputsch) genannt? Weil der Putsch im Münchner Bürgerbräukeller begann. Es war dort, daß der gescheiterte Maler Hitler, der zum Anführer der Nazipartei aufgestiegen war, eine Revolution ausrief und am 8. November 1923 diverse gegen die bayerische Landesregierung gerichtete Aktivitäten auslöste. Am 9. November wurde der Putschversuch fortgesetzt und mittags startete ein Marsch vom Bürgerbräukeller aus, mit der Absicht, die wichtigsten Gebäude in München zu besetzen. 3.000 Männer marschierten mit den Anführern Hitler und Ludendorff, kamen aber nicht weit. Die Polizei riegelte die Straße ab und mußte letztlich mit Gewalt durchgreifen. Es fielen Schüsse und der Putsch war vorbei. Hitler wurde verhaftet, beging einen Selbsttötungsversuch (der leider nicht gelang) und erhielt – wie auch die anderen Putschisten – nur eine leichte Bestrafung.

Man könnte sagen, daß es eigentlich nur eine von vielen Aufständen der Weimarer Republik war, durchgeführt von einer kaum bekannten rechten Gruppe, einer von vielen. Die Folgen waren allerdings gravierend: der Putschversuch machte die Nazis bekannt, gab Hitler reichlich Gelegenheiten (zum Beispiel während seiner Gerichtsverhandlung), sich öffentlich über seine Motive und Ziele auszulassen und veranlasste ihn, seine Strategien zur Machtergreifung zu überdenken. Der Rest ist dunkle, dunkle Geschichte.

9. November 1938 – Schande

Jeder weiß über Deutschlands düsterste Jahre und die abscheuliche Verfolgung der Juden Bescheid. 1938 konnten Juden nicht mehr als Beamte, Ärzte, in kulturellen Berufen oder Anwälte arbeiten. Die Schulen waren getrennt, in die Pässe war ein großes rotes „J“ gestempelt. Juden und Nicht-Juden durften untereinander nicht heiraten oder körperliche Beziehungen haben. Alle Bürgerrechte waren den Juden genommen.
Im Oktober 1938 wurden ungefähr 12.000 polnischstämmige Juden mehr oder weniger über Nacht aus Deutschland ausgewiesen. Sie wurden zur polnischen Grenze transportiert, aber Polen wollte sie nicht aufnehmen und so irrten sie unter entsetzlichen Entbehrungen im deutsch-polnischen Grenzgebiet umher. Unter diesen Ausgestoßenen war die Familie Grynszpan, die eine Nachricht an ihren siebzehnjährigen Sohn Herschel sandte, der bei seinem Onkel in Paris lebte. Sie schrieben ihm über die schrecklichen Ereignisse und baten um Hilfe. Die Konferenz von Évian, bei der alle Teilnehmerstaaten außer der Dominikanischen Republik in voller Kenntnis der Bedeutung dieser Entscheidung ihre Grenzen für jüdische Flüchtlinge schlossen, lag erst einige Monate zurück.
Herschel Grynszpan, der um die Ausweglosigkeit der Situation wußte, ging zur Deutschen Botschaft und schoß auf den deutschen Diplomaten Ernst vom Rath, der später seinen Verletzungen erlag. Für Herschel war es der verzweifelte Versuch, Gehör zu finden – „Ich muss protestieren, daß die ganze Welt meinen Protest erhört, und das werde ich tun.“

Für die Nazis war es der perfekte Vorwand, einen „spontanen“ Aufruhr „erzürnter Bürger“ zu inszenieren, welcher in Wahrheit ein Pogrom war, ausgeführt von SA und SS-Männern in bürgerlicher Kleidung, ausgestattet mit detaillierten Instruktionen. Es war eine widerliche schandhafte Gewaltorgie.

9. November 1989 – Freiheit

Im Jahre 1989 war man daran gewöhnt, daß es zwei deutsche Staaten gab – die Bundesrepublik im Westen und die sogenannte Deutsche Demokratische Republik im Osten. Während die Wiedervereinigung eines der im Grundgesetz festgelegten Ziele war, glaubte niemand, daß dies bald (oder je) passieren würde. 1989 aber brachte vielversprechende Entwicklungen. Unter der Regierung von Michail Gorbatschow zog ein neuer Impuls der Freiheit durch Russland und die osteuropäischen Staaten. Während der Regierungschef der DDR, Erich Honecker, verkündete, daß die Berliner Mauer noch hundert Jahre stehen würde, wurde im Land friedlich für Freiheit und Demokratie demonstriert, und auch das restliche Osteuropa bereitete sich darauf vor, sich zu öffnen. Ungarn war Vorreiter, der Grenzzaun zu Österreich wurde im Sommer 1989 offiziell aufgeschnitten und zahllose Ostdeutsche, die ihren Urlaub in Ungarn verbrachten, nutzten diese Möglichkeit der Freiheit und überquerten diese gerade geöffnete Grenze.

Am 9. November 1989 öffnete ein kleiner Fehler die innerdeutsche Grenze und bereitete den Weg zur Freiheit. Der Sprecher der ostdeutschen Regierungspartei SED, Günter Schabowski, hielt eine Pressekonferenz. Diese verlief recht unspektakulär, aber dann erinnerte sich Schabowski an eine Notiz, die ihm vor der Konferenz ausgehändigt worden war und die er verlesen sollte. Dies tat er also und verkündete, daß Ostdeutschen Reisefreiheit gewährt würde und sie das Land über alle innerdeutschen Grenzübergänge verlassen könnten. Schabowski sprach etwas zögerlich, mit vielen „ähs“. Als er gefragt wurde, ob dies auch West-Berlin beträfe, zuckte er mit den Schultern, schaute auf seine Unterlagen und sagte: „Ja.“ Es war offensichtlich, daß er keine Ahnung hatte, was vor sich ging. Das ist nicht überraschend, denn dies war keine besprochene und offiziell getroffene Entscheidung. Es hatte in der DDR-Regierung reichlich Diskussionen darüber gegeben, daß Zugeständnisse bezüglich der Reisefreiheit gemacht werden müßten, aber es gab keine Einigkeit über die genauen Bedingungen. Der von Schabowski verlesene Text sollte noch nicht öffentlich gemacht werden, aber dies hatte ihm niemand mitgeteilt und er hatte den Sperrvermerk auf der zweiten Seite nicht gesehen.

Als er also gefragt wurde, wann diese neue Regelung in Kraft tritt, setzte er seine Lesebrille auf und sagte: „Also Genossen, mir ist das so mitgeteilt worden, daß eine solche Mitteilung heute schon verbreitet worden ist. (…) Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort.“ Er schaute stirnrunzelnd auf seine Papiere und Geschichte nahm ihren Lauf. Ost- und Westdeutsche strömten zur Grenze. Die Wachen wußten mangels entsprechender Anweisungen nicht, was sie tun sollten. Schließlich wurden die Grenzen geöffnet und nie wieder geschlossen.