Die Tuberkuloseepidemie in den USA

Anfang des 20. Jahrhunderts wurde Tuberkulose in den Vereinigten Staaten zu einer regelrechten Epidemie. Die Vorsichtsmaßnahmen und Behandlungsmethoden muten für uns heute teils ungewöhnlich an.

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Die Spanische Grippe ist fast jedem historisch interessierten Menschen ein Begriff und ist in den letzten Monaten aus ganz aktuellen Gründen wieder etwas mehr in den Fokus gerückt. Beim Übersetzen des dritten Bandes meiner ursprünglich auf Englisch geschriebenen Allender-Trilogie war es für mich durchaus seltsam, das damals von mir Geschriebene unter Umständen zu übersetzen, die jenes Pandemiegeschehen nun vertrauter erscheinen lassen, als ich es mir hätte vorstellen können. Vor der Spanischen Grippe gab es in den USA aber auch eine weitere Epidemie, die die Allenders ebenfalls betrifft, deren damals so große Gefahr aber heute kaum noch bekannt ist: die „Weiße Pest“, Tuberkulose. Sie war in vielen Ländern im Laufe der Geschichte eine ernste Bedrohung. Als ich zum Studieren in die USA ging, mußte auch ich übrigens einen Tuberkulosetest machen, was ich ein wenig unheimlich fand

Eine solche Szene kommt auch in „Verlorenes Gestern“, dem dritten Band der Allender-Trilogie, vor. Die an Tuberkulose erkrankte Mutter sucht am Vorabend ihrer Abreise in das Sanatorium ihre schlafenden Kinder auf.

Sie hielt ein Taschentuch vor Mund und Nase gepresst, um ihre Tochter vor sich zu schützen. Ein Schluchzen stieg in ihrer Kehle auf, als ihre Augen auf dem geliebten kleinen Gesicht ruhten. Sie sehnte sich danach, Lillian zu küssen, wagte es aber nicht.
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Helen setzte sich auf den Bettrand. Anthony nahm ihre Hand und Helen erlaubte sich den Luxus dieser Berührung einen Moment lang, zog dann aber ihre Hand zurück, auch wenn es ihr geradezu körperliche Schmerzen bereitete, ihre Kinder nicht in den Arm nehmen zu können.

Erst 1882 fand Robert Koch heraus, daß Tuberkulose nicht vererbt, sondern durch Ansteckung weitergegeben wurde. Dies führte zu zahlreichen Informationskampagnen, die über die Ansteckungsgefahr aufklärten und die Leute informierten, wie sie sich schützen konnten. Die Ratschläge ähnelten denen, die auch wir in den letzten Monaten so oft gehört haben. Abstand halten, nicht ohne Taschentuch niesen oder husten.Und bitte auch kein rücksichtsloses Spucken – das mag sich für uns etwas seltsam anhören, aber zu jener Zeit waren Spucknäpfe noch üblich. Die Angst vor Tuberkuloseansteckung führte dann zu einer Kampagne gegen eben diese Spucknäpfe. Es gab eine Serie von Postern („Familie und Tuberkulose“, „Haltung und Tuberkulose“, „Schule und Tuberkulose“ etc.), die unter dem jeweiligen Schlagwort wichtige Verhaltensweisen zusammenfassten. Darunter fielen dann auch Ratschläge, die uns ungewöhnlich anmuten, so der Hinweis, dass eine gute Körperhaltung zu „starken, gesunden Lungen und guter Blutzirkulation“ führte. An Tuberkulose erkrankte Eltern wurden gewarnt, daß sie die Krankheit an ihre Kinder weitergeben würden und sich deshalb den Kinder nicht nähern sollten.

"Sie möchten neue Methoden ausprobieren, aber ich weiß nicht, ob sie erfolgreich sein werden. Sie bauen aber auch auf Heilung durch saubere Luft, viel Ruhe und gutes Essen."

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als die Tuberkulose zu einer regelrechten Epidemie wurde, eröffneten die ersten Lungensanatorien in den Vereinigten Staaten. Arizona warb mit seinem guten Klima und so machten sich unzählige Kranke auf den Weg in den Wüstenstaat mit der trockenen Luft. Sie kamen so zahlreich, dass viele von ihnen bald in Zeltstädten untergebracht wurden, deren Lebensbedingungen unerträglich waren und die von den gesunden Leuten ängstlich gemieden wurden. In manchen Küstenstaaten wurden die Tuberkulosekranken auf Schiffen untergebracht

Eine damalige Broschüre des Chicagoer Municipal Tuberculosis Sanitarium gibt einen hervorragenden Einblick in die Methoden und den Alltag der Sanatorien. Der dortige Aufenthalt begann mit Bettruhe und verschiedenen Untersuchungen, um zu ermitteln, wie weit die Krankheit fortgeschritten und wie schwer sie war. Fiebermessungen und Röntgenuntersuchungen waren während des Aufenthalts stetige Begleiter. Das Municipal Tuberculosis Sanitarium stufte die Kranken in fünf Kategorien ein, die durch farbige Karten, die man immer bei sich tragen musste, sofort erkennbar waren.

Die Behandlung bestand aus Bettruhe (einige Stunden oder ganztägig, je nach Schwere der Krankheit), guter Luft (die Sanatorien lagen oft hoch, verfügten über Verandas und riesige Fenster, die das ganze Jahr hindurch offen blieben), Ernährung (kalorien-, mineral- und vitaminreich), sowie (später) Medikamenten. Geschädigtes Lungengewebe wurde manchmal operativ entfernt. Verwandte konnten zu Besuch kommen, auch hier war natürlich die Einhaltung der Vorsichtsmaßnahmen und die Schwere der Krankheit relevant.

In Louisville, Kentucky, das durch seine sumpfige Lage besonders stark von der Tuberkulose heimgesucht wurde, war es das Waverly Hills Sanatorium, das im Sommer 1910 eröffnet wurde und bis 1962 in Betrieb war. Heute steht es leer, ein düster wirkendes, riesiges Gebäude, das mittlerweile eher dafür berühmt ist, dass allerlei selbsternannte Geisterjäger behaupten, es würde dort spuken. Geschichten über die damaligen – heute oft brutal anmutenden – Behandlungsmethoden, die Überfüllung und den berüchtigten „Leichentunnel“ (ein Gang, durch den die Verstorbenen diskret in eine Leichenhalle am Fuß des Hügels transportiert werden konnten) haben den Grundstein für allerlei gruselige Behauptungen gelegt und das Hauptgebäude selbst eignet sich durchaus als Spukhaus. Es ist, wie solche verlassenen Orte im Allgemeinen, entschieden unheimlich.

"Es klingt nicht nach viel, oder? Nur herumliegen, warten. In diesen modernen Zeiten sollten wir mehr Möglichkeiten haben, eine tödliche Krankheit zu bekämpfen!"

Auf Youtube finden sich zahlreiche Videos, die das heutige Waverly Hills zeigen. Neben den auf billige Schockeffekte konzipierten „Untersuchungen“ von „Geisterjägern“ findet sich hier ein Film aus dem Jahr 1936, der über Waverly Hills als Sanatorium berichtet und einiges Interessante zur Tuberkulosebehandlung jener Zeit offenbart, sowie eine Dokumentation über die Geschichte von Waverly Hills (die natürlich nicht ohne die vermeintlich paranomalen Ereignisse auskommt). Beides ist auf Englisch.

Erst in den 1940ern sanken aufgrund neuer Medikamente die Zahlen der Todesopfer allmählich und die Behandlungsmethoden änderten sich. Zuvor aber mussten die Menschen jahrzehntelang mit der Angst vor Ansteckung, den Vorsichtsmaßnahmen und dem Wissen leben, dass eine Ansteckung mit Tuberkulose fast immer einem Todesurteil gleichkam.

Zitate: „Verlorenes Gestern“, Band 3 der Allender-Trilogie

Abbildungen: Library of Congress, Wikipedia, Public Domain